Beckeraachen

Kunstwechsel

Fauvismus

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K U N S T   A B C

1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.

Kunst ABC   AVZ   11.1.1975

F A U V I S M U S

LES FAUVES – die wilden Tiere nannte Kritiker 1905 eine Gruppe junger Künstler in Paris nicht, weil sie in Auftritten und Manifesten respektlos gegen Sitte und Ordnung verstießen, sondern weil ihre Bilder so aussahen, als hätte ein „Wilder“ sie gemalt, ein Wildgewordener oder auch ein „Primitiver“, ein kulturloser Barbar. Matisse, Dérain und Rouault kämpften sich frei aus dem Divisionismus, dem Neo-Pointillismus von Seurat und Signac, die in ihren Gemälden das Bildfeld in ein gleichmäßiges Raster aus Farbtupfern aufgelöst hatten. Sie wehrten sich gegen ihre in einem wissenschaftlichen Anspruch begründete Pedanterie und die Auszehrung des Bildgegenstandes in ein scheinbar beliebiges Spiel von Lichtflecken. Sie setzten an, die Linie zurückzuerobern und den Farbfleck durch das Farbfeld zu ersetzen. Beriefen sich die Kubisten 1908 auf Cézanne, so bekannten sie sich zu Van Gogh und Gauguin. Sie waren alle Kinder des art nouveau, des Jugendstils: eine Kurvilinearität als lyrischer Ausdruck schien den Inhalten, die sie mitteilten, angemessen. Die Inhalte sollten frei von jeder Symbolik sein; Dérain konzentrierte sich auf Landschaften (wie der Junge Braque, der als Fauve begann und dann mit Picasso zum Kubisten wurde), Rouault erarbeitete Sozialreportagen aus den Stadtteilen der Prostituierten und ihrer Zuhälter (sein Vorbild Toulouse-Lautrec), Matisse malte leuchtende Porträts. Berühmt wurde er aber mit Bildern, die unter dem Titel „Joie de Vivre“ – „Lebensfreude“ Gruppen von ekstatisch tanzenden nackten Frauen oder sanfte Landschaften zusammenfassten, die zärtliche Paare in Girlanden von leuchtenden Farben bevölkerten. Das war symbolisch, das waren Chiffren für ein Paradies ebenso wie die brutalen Porträts von Rouault Rufe aus eine Hölle waren. Doch nicht nur die Gier nach symbolisch beladenen Bildinhalten, auch den Prunk der Farbkompositionen erbten die Fauves vom Jugendstil. Aber sie suchten den Prunk nicht in Gold, Rosé und Violett, sondern in Sonnengelb, Blutrot und Meeresblau. Das hatten sie bei Van Gogh und Gauguin gelernt.

Die Fauves trafen sich mit ihren Freunden im Café du Dôme am Montparnasse, und die Bilder der Gruppe wurden schnell in ganz Europa bekannt. Sie machten Schule. Zahlreiche Deutsche haben in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg im Atelier von Matisse gearbeitet. (u. a. Hans Purrmann, Friedrich Ahlers-Hestermann und Gretchen Wohlwill),  In München kannte man die Fauves; dort gründete Kandinsky den „Blauen Reiter“ – in Wien, wo Kokoschka seine Karriere begann – in Dresden, wo Heckel und Kirchner Matisse einluden, der „Brücke“ beizutreten – und in Berlin, wo Herwarth Walden in seiner Galerie „Der Sturm“ ihre Bilder zeigte.

Die emotionale, formsprengende, anarchische Komponente des Fauvismus besaß eine starke befreiende Wirkungskraft, Seine Disziplin, die frische Schönheit seiner Farben und Formen, die uns noch heute begeistern, blieben den Zeitgenossen verschlossen. Ein Mädchenporträt von Matisse erschien vielen damals wie ein rüder Angriff auf das Bild des Menschen, Als 1908 die Kubisten den Angriff auf das unversehrteMenschenbild fortführten, erschien ihre „wissenschaftliche“ Kühle und Distanz erholsam gegenüber der Aggressivität der „Wilden“.

Als Übergangsstil besitzt der Fauvismus nicht den Grad der Erneuerung des Kubismus. Er stand immer in Gefahr, mit der Vergangenheit allzu versöhnlich umzugehen. Darum konnte er in der Folgezeit fruchtbar ausgenutzt und nachgeahmt werden. Von Vlaminck bis heute gibt es eine Fülle von „Fauvisten“. Im schlimmsten Fall werden ihre Bilder (wie die der Impressionisten) in den Etalagen der Kaufhäuser angeboten – in Öl auf Leinwand.

Abb.   Georges Rouault, 1905, Jeu de massacre (Schlachterspiel)), (Schausteller, Wichtigtuer, Clowns), (Hochzeit von Nini patte en l’air) Centre Georges Pompidou, Paris

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