Beckeraachen

Kunstwechsel

Kunst + Schizophrenie

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K U N S T   A B C

1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.

Kunst ABC   AVZ   11.10.1975

S C H I Z O P H R E N I E

Seelische Folgen körperlicher Krankheiten lassen sich diagnostizieren und behandeln. Wie sichtbar aber ist eine psychische Krankheit? Das Interesse der Kunstwelt an Bildern von „Geisteskranken“ spiegelt das Dilemma der Medizin wider. Stehen „Geisteskrankheit“ und Kunst in einem Zusammenhang? Unter den Geistes“kranken“ sind die chronischen Schizophrenen die fruchtbarsten „Künstler“. Ihr von der Norm abweichender Zustand ist gekennzeichnet durch dauerndes Versagen einzelner Funktionen des Ich. Damit verändern sich ihr Vorstellungen von Welt. Der Normale bemerkt mit Erstaunen vor ihren Bildwerken, dass sie die Grenzen seines Bewusstseins erweitern, Denkclichés verändern – Funktionen, die er dem Künstler zugeschrieben hatte. Tatsächlich ist bewiesen, dass weder Laien noch Künstler selbstKunstwerke von Artbeiten Schizophrener unterscheiden können; Verkümmerung von Formen, Umbildungen, Formzerstörungen, Elemente der Geometrisierung und Stereotypisierung treten hier wie dort auf. Erst wenn der klinische Befund mitgeliefert wird, erlauben die Werke Aussagen über Entwicklungsphasen einer „Krankheit“. Ist die Schizophrenie ein Modell für das Schöpferische überhaupt (Bader)? Ohne Zweifel sind die Grenzen zwischen Kreativität und Ich-Störung, Außer-sich-sein nicht absolut, sondern Ergebnisse einer Rollenverteilung in einem historischen sozialen Gemeinwesen.  Schon heute ist unser Interesse an der Kunst der Schizophrenen auf Rückblicken begründet. Denn durch die verfeinerten Behandlungsmethoden der Arbeits- und Milieutherapie und der Pharmaka wird verhindert, dass die Kranken weiterhin so originelle, schöpferische Sonderleistungen vollbringen wie ihre Väter. Ihre „Kunst“ wird zunehmend uninteressant. Auf der anderen Seite ist das Verhältnis von Kunst zur „Irrenkunst“ dadurch kompliziert geworden, dass wir beide nicht mehr abstrakt miteinander vergleichen können. Zuviel schon verdanken die Künstler des 20. Jahrhunderts ihren Gefährten in den Asylen, zu oft schon haben sie sie zitiert. In den 70er Jahren häufen sich die Zitate, die Grenzen zerfließen. Ironisch pointiert wäre der einzige Unterschied, dass die einen ambulant, die anderen stationär behandelt werden. In der documenta 5 1972 wurden in der Abteilung Individuelle Mythologien Werke von A.S. gezeigt: „Es ist fraglich, ob A.S., ein Schizophrener oder ein nicht kranker Sonderling ist“ sagt Th. Spoerri im Katalog. Der Ich-Verlust, das gestörte Verhältnis zur umgebenden Welt, die Vorstellung, ferngelenkt zu werden, die technologische Obsession, ich, der Mensch, sei eine Maschine, das Berührtsein-Syndrom – alle diese Merkmale des Schizophrenen und ihre Niederscvhläge in Bildern sind zeittypische existentielle Ängste, die ihren Werken eine Gültigkeit geben, die wir nur in denen von Künstlern gesucht haben.

Ab. aus der Ausstellung CROSSROADS Maastricht Aachen 2012

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