K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.
Kunst ABC 22.11.1975
K U N S T P Ä D A G O G I K
Als die Museen unzugängliche Schatzkammern von Fürsten waren, erzählte man sich über sie wunderbare Geschichten. Seit sie zugänglich sind wie Kirchen oder Gaststätten, erregen die Gegenstände, die sie zeigen, Ehrfurcht, Kopfschütteln, Empörung. Ihre Besitznahme durch das große Publikum ist in vollem Gang. Es fordert Erklärungen – von Verantwortlichen, von Direktoren. Seit der Erfindung des neuzeitlichen Museums nach der Französischen Revolution gibt es den Museumsdirektor*. Seine 1. Aufgaben sind die Sammlung der Werke, ihre Ausstellung und Beschriftung und die Publikation eines Bestandskatalogs. Darüber hinaus führt er Freundeskreise gelegentlich durch sein Haus und veröffentlicht von Zeit zu Zeit in Fachzeitschriften Aufsätze über die Kunstwerke, die er verwaltet. Damit ist dem Kreis der Kenner und Liebhaber Genüge getan. Das Museum wird in den Stadtführern als Sehenswürdigkeit geführt.
Neben dem Kunstmuseum gibt es seit dem 19. Jahrhundert andere Häuser mit ähnlich begrenzten Besucherzielgruppen: das Kunstgewerbemuseum, das Handwerkern Anregungen vermittelt, das Volkerkunde-, das Technische Museum. Seit den 30er Jahren wird in Amerika und Europa nicht nur dieses MUSEUM als fragwürdig diskutiert, sondern ebenso die Trennung der Gattungen. Denn man entdeckt, dass die wachsenden Zielgruppen aller Museumstypen soweit deckungsgleich sind, als die Objekte und Objektgruppen dieser Museen sich aufeinander beziehen und als Bildungsinstrumente genutzt werden können. Verabsolutierte man diese Gemeinsamkeit, so würde der Museumsdirektor überflüssig, und der Museumspädagoge ersetzte ihn. Freilich hat sich der Direktor gegen ihn gewappnet: die Verteidigung seiner Schätze hat ihn zu einer pädagogischen Haltung, zu Programmen von Führungen und Vorträgen, zu groß, zu großzügigen Öffnungszeiten, zur Einrichtung einer Cafeteria gezwungen. Er ist sich aber des Zwiespaltes bewusst, aktuelle Gegenstände einer späteren Geschichtsschreibung erhalten zu wollen und sie zugleich aktuellen Bildungsbedürfnissen überlassen zu müssen. Der Museumspädagoge ist dagegen frei von diesem Zwiespalt. Er ist sogar frei von Fachkenntnissen und emotionalen Festlegungen, die sie häufig erzeugen. Er bietet dem Erläuterungen, der heute dieses oder jenes Museum besucht und nach ihnen fragt. Seine Erläuterung ist nicht so sehr vom Objekt bestimmt, sondern vordringlich von dem, der einer Erläuterung bedarf: das Kind, der Erwachsene, der Schüler, der Lehrer, der Gefängnisinsasse, der Rekonvaleszent, der Sympathisant, der Nörgler.
Ein Museumsgegenstand, so lebendig immer seine Wirkung sein mag, besteht in der Regel aus toter Materie und überdauert die psychologischen Haltungen von Generationen, Der Museumsdirektor überliefert das Objekt intakt und gründlich bearbeitet seinem Nachfolger, er wird ihm sogar die Arbeitsergebnisse seines Pädagogen mitliefern. Für diesen ist der Gegenstand, ob Kunstwerk oder Dampfmaschine, vorwiegend das Instrument einer ästhetischen Erziehung. Was ästhetische Erziehung ihrerseits ist, wird gerade in Pädagogenkreisen heftig diskutiert. Die sozialpolitische Position sieht vorwiegend den sozialgeschichtlichen Wert von Kunstgegenständen und zielt umfassend auf politische Emanzipation, die Gegenposition umkreist die ästhetische Aussage und zielt auf Wahrnehmungserziehung und analytische Sehbereitschaft von Menschen, die in einer hochentwickelten massenmedial versorgten Bilderwelt leben. Solche Konzepte haben an verschiedenen Orten zu pädagogischen Ausstellungen geführt, die lebhafte Auseinandersetzungen erregten.
Abb. Schülergruppe im Musée d´Orsay Paris Wikipedia