Beckeraachen

Kunstwechsel

Strassenkunst

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K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.
K U N S T ABC AVZ 1.9.1973
S T R A S S E N K U N S T
Straßenverkehr findet auf Landstraßen, Einbahnstraßen, Durchgangsstraßen statt, STRASSE bedeutet Verkehr, Begegnung von Menschen. Früher schickten Eltern ihre Kinder zum Spielen auf die Straße, heute verbieten sie es ihnen. Die Straße in der Stadt ist gefährlich geworden. Dennoch: die Straße dient, dem Nachbarn zu begegnen. Kommunalpolitiker denken über die Straße als Kommunikationsort nach. Fußgängerzonen sind entstanden, historische Formen wie Basarstraßen, Kolonnaden, Marktplätze wurden wieder lebendig. Künstler haben begonnen, über Straßen nachzudenken.
In historischen Straßen und Marktplätzen spielt Kunst eine selbstverständliche, notwendige Rolle. Bildhauer und Maler arbeiteten mit Architekten zusammen. Im 19. Jahrhundert erst trennten sich ihre Wege. Kunst war am Ende nur das, was im Museum gezeigt wurde. Kunst auf der Straße degenerierte zum „Stadtschmuck“, zur „Kunst am Bau“ – ein liebenswertes, folkloristisches, biederes Kapitel der Kunstgeschichte, das von braven Kunsthandwerkern erzählt, die, den Mundartdíchtern folgend, die lokalen Sagenschätze verbildlichen. Alle scheinen zufrieden: über den Kunstwert der Plastiken und Reliefs ist nicht zu streiten, jeder erkennt, was sie darstellen – und freut sich.
Als aber Künstler über DIE STRASSE nachzudenken begannen, stellten sie sich in den Dienst der Soziologen, die über Kommunikationsmodelle nachdachten. Ein Straßenkunstwerk ist also nicht ein Kunstwerk an sich, sondern ein Gegenstand, der Kommunikation erzeugt, der Menschen, die einander fremd sind, im Gespräch zueinander führt, Kinder zum Spielen einlädt, Hetzende langsamer gehen oder stillstehen lässt, Fantasie freisetzt. Straßenkunst ermöglich, die Straße und die Bauten, die sie rahmen, neu zu sehen. Sie kann unaufwendig und bescheiden sein: der Münchener Künstler Günter Sarée lief mit einem Stempel auf der Sohle seiner Schuhe durch die Straßen und hinterließ in langer Reihe das Wort „und“. Wolf Vostell legte Brote um das Kölner Opernhaus, um das Missverhältnis zwischen den Kosten für Nahrungsmittel und Kulturgüter zu zeigen. Richard Artschwager befremdete die Utrechter, als er an Hauswänden, Zäunen, Telefonzellen, ja selbst auf das Wasser der Grachten eine schwarze Ellipse von Armlänge anbrachte. Die Einwohner begannen, die Ellipsen zu suchen – und sahen ihre Stadt neu.
Straßenkunst schließt die Aufstellung von Großplastiken ein, die in einem zeichenhaften Bezug zu ihrer Umgebung stehen. So haben in letzter Zeit kleine süddeutsche Städte wie Rottweil oder Leinfelden durch solche Ereignisse von sich reden gemacht. Leinfelden hat sich das 50.000 DM kosten lassen, wohl wissend, dass nicht nur der Bevölkerung, sondern auch der Tourismuswerbung ein Dienst erwiesen wird. Straßenkunst schließt die Schaufenster der Straßen ein. Künstler haben während der Olympiade in München die Ladenfenster der Hauptstraßen dekoriert. Zur Straßenkunst gehört Straßentheater, Straßenfest – alles, das dient, eine Stadt lebendig zu halten und ihren Bewohnern Gelegenheit zu geben, aus der Einsamkeit des kaufenden Konsumenten herauszutreten in die Gemeinschaft der Nachbarn.
In Aachen wird vom August bis zum Oktober Straßenkunst vorgeführt werden – nach einem ersten ermutigenden Versuch 1972. Dinge werden im Stadtbild erscheinen, die erfreuen und verärgern. Halten Sie Ihre Meinung nicht zurück, schreiben Sie an Ihre Zeitung, rufen Sie mich an. Oder machen Sie mit, helfen Sie. Wir haben viele Projekte, die wir nicht realisieren können, weil uns Räume – Schaufenster, Läden, Schalterhallen – , Materialien oder Mittel fehlen. Straßenkunst ist nicht Selbstzweck, sondern Mittel. Sie beansprucht keinen Ewigkeitswert, sondern Aufmerksamkeit heute. Manches mag Ihnen verrückt vorkommen, aber fragen Sie sich, warum es so viele Witze über Verrücke gibt: weil unsere normalen Lebenszustände uns zwingen, so vernünftig zu sein, dass wir uns gar nicht mehr trauen,unserer Fantasie freien Lauf zu lassen.
Abb. Walter Dohmen Aachens Wald im Dahmengraben Open Air 1973

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