K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.
K U N S T A B C AVZ 3,4,1976
M A L E N 3 (1-3)
Die Spannung zwischen ausübendem Maler und Malfeld steigert sich seelisch wie körperlich, je stärker das Format des Malfeldes den Bewegungsradius der menschlichen Glieder übersteigt. Liegt ein solch großes Malfeld dem Maler zu Füßen, erzwingt es bestimmte Malbewegungen. Diese wiederum können sein Format bestimmen, wenn der Maler nicht am Ende einen Ausschnitt als Komposition bestimmt. Ostasiatischen Anregungen folgend konnten sich in den fünfziger Jahren amerikanische Maler weitergehend von der europäischen Kulturgeschichte des Malens befreien als ihre europäischen Kollegen. Sie hatten größere Distanz zur Geschichte und – eine neue Leinwand. Dieses Leinen läßt das Malen ohne Grundierung zu, die Acrylfarbe sinkt in das Tuch ein wie Wasserfarbe in Papier. Das Tuch wird nicht starr, sondern bleibt während der Arbeit und in Zukunft beweglich. Man kann es rollen, falten, ohne dass Farbschichten brechen. Jackson Pollock durchlöcherte den Boden eines Eimers und tröpfelte eimerschwingend Bögen und Schleifen auf das ausgebreitete Tuch. Morris Louis goss die Farbe auf das Malfeld und bewegte das Tuch so, dass die Farbe in gewünschte Bahnen floss. Bilder wurden diese Tücher erst nach seinem Tod; Sein Freund, der Kunstkritiker Clement Greenberg, bestimmte die Formate, die aus den Tüchern geschnitten wurden. Der Pariser Ungar Simon Hantai knäuelt Tücher fest zusammen und färbt die Falten ein, indem er sie in verschiedene Farben taucht. Zieht er das Leinen auseinander, so entknäuelt er ein formen- und farbenreiches Bild. Die französischen Künstler und die ihnen befreundeten Theoretiker haben die Erkenntnisse, die sich aus diesen Malweisen ergeben, zu einer gesellschaftspolitisch wirksamen Ästhetik zusammengefasst. Diese Malerei erlaubt ihnen, die eingeengte Vorstellung der Malerei als und der Kunst als Malerei zu verlassen. Wird dort die Arbeit verleugnet zugunsten der Illusion eines wiedergegeben Gegenstandes, so ist sie hier Gegenstand des Bildes selbst. Sind dort alle Gegenstände – Pinsel, Palette, Staffelei, Atelier – und Personen – Maler, Künstler – belastet durch Fetischisierungen und Rollenfestlegungen, die die europäische Kunst- und Künstlergeschichte verursacht haben, so sind sie hier frei, an Traditionen anzuschließen, die das Handwerk hervorgebracht hat wie Gerben, Färben, Drucken, Batik usw. Und ihre Produkte sind nicht mehr im gleichen Sinn Kunstwerke wie die ihrer Väter, zweckfrei und ohne gesellschaftliche Beziehungen, sondern nehmen die Sinngebung von Gebrauchsgegenständen an: Tücher, die an den Wänden hängen, ohne Signatur, in einer Weise hergestellt, die der Hausbewohner nachvollziehen kann.
Ist die Entwertung des Tafelbildes als gültige Form einmal so weit fortgeschritten, sdo müssen wir davon ausgehen, dass jeder, der heute noch Tafelbilder in alter Manier malt, die alte Manier zitiert. Es gibt heute, überspitzt gesagt, nur noch Bilder von Tafelbildern.
Abb. Simon Hantai Ohne Titel 1971 300x464cm Aachen Ludwig Forum Sammlung Ludwig