Beckeraachen

Kunstwechsel

Zimmerschmuck

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K U N S T   A B C

1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.

AVZ 29. 9. 1973

Z I M M E R S C H M U C K

 

Der größte Teil dessen, was auf dem zeitgenössischen Kunstmarkt geboten wird, ist Zimmerschmuck: Öl- und Acrylgemälde, Radierungen, Lithografien, Sieb- und Offset-Drucke. Nur ein kleiner Bevölkerungsteil aber schmückt seine Zimmer mit Werken der zeitgenössischen Kunst., Trotz aller Versuche von Künstlern, Händlern und Museen gelingt es nur langsam, größere Kreise für den Erwerb preisgünstiger Moderne zu interessieren.

Kunst als Zimmerschmuck ist in der Regel nicht teurer als das, was jene zur Ausstattung ihrer Wohnung erworben haben. Entscheidend ist, dass ihnen die Möglichkeit fehlt, sich mit dem modernen Kunstwerk zu identifizieren, die eigene Persönlichkeit in ihm zu spiegeln. Das moderne Kunstwerk an der Wand strengt an, es verlangt, dass man sich mit ihm beschäftige, es fordert Selbstkritik, es stört die Bequemlichkeit des Feierabends.

Eine Reihe von Untersuchungen zum Wandschmuck in Bürgerwohnungen liegt vor. Sie bestätigt: Wandschmuck fördert körperliche und geistige Bequemlichkeit und Trägheit. Er wird nach Gesichtspunkten erworben, die sich in ganz Mitteleuropa nicht wesentlich unterscheiden. Er entspricht allgemeinen Wunschvorstellungen, die durch das Angebot von Bilderfabriken und Warenhäusern befriedigt werden. Die Zimmerecke, die früher der Madonna vorbehalten war, füllen heute Reiseandenken aus exotischen Ländern – ein Basthut aus Ostafrika, eine – falsche – venezianische Pistole, die Ebenholzstatuette einer nackten Negerin. Das fromme Bild über dem Sofa hat der röhrende Hirsch verdrängt, mit dem der Hausherr sich identifiziert (ein Relief von 1953 ist mit dem Text umrandet: „Nur gut, dass in der Liebe Pein/ die Menschen nicht wie Hirsche schreien“), oder die bronzene Zigeunerin als männlicher Wunschtraum oder der Königssee als Ort der Feriensehnsucht. Was als moderne Kunst verstanden wird, landet in Bad, Toilette oder Kinderzimmer, wo sich Subkultur als Poster mit Mick Jagger oder einem „Playmate“ hinlänglich breit macht.

In einem öffentlichen Basar in Bergkamen boten Sachkenner den Bürgern moderne Grafiken im Tausch gegen ihren gewohnten Zimmerschmuck an. Das Unternehmen fand Zuspruch, blieb aber erfolglos, weil die einsichtigen Fachleute viele tauschbereite Bürger mit ihren lieb gewordenen Bildern heimschickten und darauf verzichteten, ihnen ein Kunstwerk zu übergeben, zu dem ihnen jeder persönliche Bezug fehlte.

Meine Wohnung ist voll von zeitgenössischen Kunstwerken, die meine Eltern und andere Besucher das Gruseln lehren. Doch ich kenne ihre Herstelle und liebe diese Objekte, weil ich mit ihrer Bildsprache vertraut bin. Nicht anders als jene vielen suche ich nach persönlichen Bezugspunkten. Doch ich erwarte nicht, dass die Gemälde und Objekte meine angenehmsten Seiten wiederspiegeln, ja, dass sie überhaupt mein engumgrenztes persönliches Schicksal in Bilder fassen. Sie sind also weniger Wand“Schmuck“ als Wand“Zeitung“, sie unterrichten in gebündelter Form über die Zeit, in der ich lebe.

Der Wandschmuck in Bürgerwohnungen ist objektiv wertlos, subjektiv besitzt er als einschläfernde Bestätigung der Verhältnisse, in denen wir leben, eine negative Wirkung. Dabei ist Zimmerschmuck nur e i n  Problem affirmativer Kultur, das dazu dient, über Tapeten, Teppiche, Sesselgarnituren (viele Bürgerwohnungen sind ästhetisch schlichtweg Folterkammern) und die Ausstattung von Staatsgemächern usw. nachzudenken.

Museen zeitgenössischer Kunst wie die Neue Galerie sind nicht Ghettos, in denen der Bürger seine Beschäftigung mit moderner Kunst isoliert, sondern Vorlagesammlungen, die jeden Besucher anregen, seine Wohnungsausstattung zu überdenken.

Abb. Moritz Müller „Brunftmorgen“ Lithografie 1925

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