K U N S T A B C
1973 -77 habe ich unter diesem Titel 173 Texte in der Aachener Volkszeitung publiziert. Den einen oder anderen werde ich hier wiedergeben. Ich versuche, die alten Maschinen-Manuskripte zu konvertieren.
K U N S T ABC AVZ 30.11.1974
NAZI – KUNST
Im Juli 1937 standen Schlangen vor dem neuen bombastischen Haus der deutschen Kunst in München. Über 2 Millionen Menschen besuchten die Ausstellung „Entartete Kunst“, ein Drittel die 1. Große Deutsche Kunstausstellung. Ihnen allen bewies Adolf Hitler, dass es von nun an 2 Arten von Kunst gäbe, und machte deutlich, dass er eine dieser Arten erbarmungslos bekämpfen würde. Entartete Kunst ist die „moderne“ Kunst von den Impressionisten bis zum magischen Realismus der zwanziger Jahre. Diese moderne Kunst war seit der Eröffnung der modernen Abteilung des Berliner Museums im Kronprinzenpalais in die Museen eingezogen. Für Hitler und seine Gläubigen war sie die Kunst der Weimarer Republik, der jüdisch-bolschewistischen Großstadt Berlin, Modeartikel eines internationalen Großkapitalismus. Die andere Kunst war die der Künstler, die in den kleinen Städten auf dem Lande lebten, die die Moderne Kunst überlaufen hatte, die in der gefügten Ordnung eriner heimatlichen Tradition standen. An jene wendete er sich 1937 und 15.000 Werke trafen ein. Hitler selbst traf die letzte Auswahl und bestimmte so den Tenor der 1. Großen deutschen Kunstausstellung: „Ich habe es … für m´notwendig erachtet… für den anständigen, christlichen Durchschnitt den Weg frei zu machen.“ 900 Werke wurden gezeigt, nach Gattungen geordnet: Porträt, Akt, Landschaft, Sittenbild usw. Diese Kunst belastete Hitler mit einer ungeheuren sozialen Bedeutung und Verantwortung. Der 1. Große Monumentalbau seiner Regierung ist ein Tempel der Kunst; er öffnet ihn nicht mit einer gewichtigen historischen Rückschau „1000 Jahre deutscher Kunst“, sondern als eine Vorführung von Zeitgenossen. Die NSDAP hatte bereits 1928 den Kampfbund für Deutsche Kultur gegründet, die Künstler fasste die Reichskammer der Bildenden Künste als Teil der Reichskulturkammer unter dem Propagandaminister zusammen. Ausschluss aus der Reichskammer bedeutete zugleich Berufsverbot. Der Staat machte die Künstler nicht zu Beamten; indem er aber ihr größter Käufer war, vertiefte er ihre Abhängigkeit.
Bei den Künstlern, die er ansprach, fand er aber ohnehin offene Ohren. Ihr Groll gegen die Gattung der internationalen „modernen“ Kunst war ebenso große wie ihre lang geübte Fähigkeit, dem Druck von Auftraggebern nachzugeben, ihre Ausdruckswünsche den ihren unterzuordnen. Ihr Selbstverständnis hatten die turbulenten Veränderungen im Rollenverständnis des Künstlers der letzten 100 Jahre nicht erschüttert. So sehen auch die meisten ihrer Bilder aus, als seien sie vor langer Zeit gemalt. Die derzeitige Ausstellung im Frankfurter Kunstverein bietet zu wenig Ausstellungsmaterial. Die wenigen originalen Werke dort deuten aber bereits an, dass die meisten Gegenstände viel schlechter sind als ihre Fotografien im Katalog und in dem Buch „Die Malerei im deutschen Faschismus“ von Berthold Hinz. Es ist kaum nachvollziehbar, dass eine Kunst solch bescheidenen Zuschnitts so aufwendig inszeniert werden konnte. Allenfalls Skulpturen, Film und Bauwerke zeigen ästhetische Reize, die ein Wirkung in der Öffentlichkeit glaubhaft machen. Ihre Wirkung bezog die 1. Große deutsche Kunstausstellung sicher nur aus der Gegenüberstellung mit der der Entarteten Kunst. Das heiß: sie ist nur als Negation begreifbar.
Kein Künstler, der der Reichskunstkammer angehörte (und das waren alle, die ihre Kunst ausübten), ist in die Kunstgeschichte der 1. Jahrhunderthälfte aufgenommen worden. Sie wurde von Flüchtlingen und Emigranten fortgeschrieben. Woran erkennt man aber Nazi-Kunst? Und. Gibt es Merkmale einer faschistischen Kunst, die über das 3. Reich hinaus Gültigkeit haben?
Kunst als Propagandamittel der Regierung konnte nicht heißen: realistische Kunst, die menschliches Leben in ein er hochentwickelten Industrienation reflektiert, sondern eine Kunst der Illusionen, die Lebensängste kompensieren und Selbstzweifel umkehren sollte in ein Gefühl der Geborgenheit im Volkskörper. Für den Fremden, der die Bilder in der Großen deuitschen Kunstausstellung betrachtete, schien Deutschland als Agrarland auf der Entwicklungsstufe des 15. Jahrhunderts. Im Schweiße ihres Angesichts, mit Sense statt mit Mähmaschiene erntete der gesunde, kräftige Bauer; die brave, untergebene Frau, in „Bestform“, mit „rein durchgebildetem Gliederbau“, „gut durchbluteter Haut“, mi „sichtbaren, vitalen Reserven“ besorgte den Haushalt und bereitete die Kinder mit Zucht und passendem Spielzeug auf ihre Rolle als Soldaten im vaterländischen Krieg vor, Landschaften bedeuteten nicht mehr sie selbst, sondern hießen „Dampfende Scholle“ oder „Deutsche Eichen“, weibliche Akte liefen unter „Junger Tag“ oder „Nocturno“, „Gelöste Stunde“ oder „Bäuerliche Venus“. So augenzwinkernd obszön waren diese Bilder, dass der belustigte Volksmund den Autoren Namen gab wie „Meister der Schamhaare“ und „Unter-Leibl“. Dieser späte Bezug zu der deftigen holländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts wiederspiegelt eine Regierungspropaganda, die sich völkisch glaubte. Diese Regierung hatte sich gerade ein verlogenes Plebiszit inszeniert, das ihr gestattete, einen Weltkrieg zu beginnen. Das „Volk“ war nach ihrer Meinung vorbereitet: durch Kunstausstellungen, Filmproduktionen, öffentliche Plastiken und Bauten. Es war „auf den Mann gebracht“: die mächtigen Ehren- und Totenhallen, Kunstpaläste und Versammlungsplätze waren nicht nur Zeugnisse einer ökonomisch unsinnigen Arbeitsbeschaffung, sondern auch Versuche, eine völkische Gruppensolidarität zu erreichen, die sich der erarbeiteten Werthierarchie ergab. Individuen lösten sich auf im Volkskörper, wehrtüchtige Manner gaben ihr Leben im vaterländischen Krieg, leistungsfähige Frauen sorgten für Nachwuchs. Arbeit daheim wurde geleistet vom Arbeitsdienst, in Arbeits- und Konzentrationslagern – natürlich ohne Lohn. Nach den ersten Niederlagen kapselte sich die Führungselite ab. Die scheinbare Volksnähe der Kunstwerke tritt schnell zurück. Die dienstbaren Künstler biedern sich einer aristokratischen Minderheit an, die sich auf ihren Selbstmord vorbereitet. Eine idealistische, an griechischen Themen orientierte Malerei und Plastik besetzt das hellenistische Genre. Venus ist nicht mehr bäuerlich und: der Soldat des vaterländischen Krieges fällt. Eine sado-masochistische Haltung beginnt, die Kunstpolitik der Regierung zu bestimmen. Hat das „Volk“ Hitler nicht verdient, so soll sein Architekt Albert Speer wenigstens dafür sorgen, dass seine >Monumentalbauten als schöne Ruinen wie die des Imperium Romanum erhalten bleiben.
Heute können wir die Faszination, die die Kunst des 3. Reiches auf seine Zeitgenossen ausgeübt hat, kaum mehr begreifen. Mit ungeheurem Aufwand hat Hitler versucht, dem Herrschaftsprinzip des 3. Reiches eine zeitenüberdauernde Gültigkeit zu ertrotzen. Geblieben sind einige Bauten, Bilder und Filme, die wir als monströse Kuriositäten bestaunen.
Abbildung: Paul Matthias Padua „Der Führer spricht“ 1937